Neofaschismus und Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein

06. Oktober 2011  Im Landtag, Reden
Björn Thoroe im Landtag

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Die Fraktion DIE LINKE hatte schon im April eine Große Parlamentarische Anfrage zum Thema „Neonazis in Schleswig-Holstein“ eingereicht. Anfang September kam die Antwort der Landesregierung.
Die Antwort enthält wenig interessante Daten. Die zum Teil auch noch fehlerhaft sind.
Man merkt, dass die Landesregierung zum Thema Neofaschismus entweder wenig Daten erhebt, das heißt wenig Ahnung hat, oder schlichtweg wenig Energie und Engagement in die Beantwortung der Anfrage gesteckt hat.

Das, was wir durch die Antwort der Landesregierung über die NPD und die Freien Kameradschaften erfahren haben, das hätten wir uns in wenigen Stunden aus dem Internet selber zusammensammeln können.

In der Vorbemerkung spricht die Landesregierung von „umfangreichen Informationserhebungen, Strukturanalysen, Lagebewertungen, Präventions- und Gefahrerforschungsmaßnahmen“ durch Polizei und Verfassungsschutz. Die Antworten spiegeln meines Erachtens diesen Umfang aber nicht ansatzweise wieder. Dies liegt nur im Einzelfall am Geheimnisschutz des Verfassungsschutzes. Im Übrigen ein weiteres Argument für dessen Unwirksamkeit und für dessen Abschaffung.

Neben aller Kritik wurden jedoch auch einige wenige interessante Einzelheiten geliefert:

Die Landesregierung erkennt die Wichtigkeit des Internets: Sie schreibt: „Das Internet ist das wichtigste Kommunikations- und Selbstdarstellungsmedium der rechtsextremistischen Szene. Das gilt besonders für die nicht-organisierten Rechtsextremisten.“
Allerdings zieht sie daraus nicht die notwendigen Schlüsse, denn die Anzahl der Internetseiten mit faschistischem Inhalt, die aus Schleswig-Holstein kommen, schätzt sie nur und die Anzahl der nicht-aktiven Seiten hält sie für „unüberschaubar“. Na toll, das sind wirklich fundierte Kenntnisse! Gratulation Herr Schlie, mit so einem Innenminister lachen sich die Nazis ins Fäustchen.

Neue Informationen gibt es auch für angemeldete Kundgebungen, die von Nazis organisiert werden. Insgesamt wurden seit 2005 60 Demonstrationen oder Kundgebungen von der Landesregierung registriert, wobei die Aufzählung offensichtlich nicht vollständig ist. Mindestens eine Versammlung der DVU im Jahr 2010 fiel durch die Statistik.

Häufigste Kundgebungssorte waren Lübeck, mit 13 Kundgebungen in 6 Jahren und Kiel mit 12. Insgesamt konnten Nazis in 23 Städten in Schleswig-Holstein Kundgebungen durchführen. Dabei fällt auf, was wir vorhin zum Thema Rechtspopulismus bereits besprochen haben: Nazis versuchen thematisch in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Dazu benutzen sie vorwiegend soziale Themen.

Auch die Darstellung von Gewaltstraftaten seit 2001 bringt einige Erkenntnisse.
Laut Landesregierung wurden in Schleswig-Holstein in den letzten 10 Jahren 568 Gewaltstraftaten durch Nazis verübt.
568! Verurteilungen wegen Gewaltstraftaten. Verfahrenseinstellungen und nicht angezeigte Straftaten werden nicht berücksichtigt, da fallen die Zahlen massiv höher aus.

Wir haben in Schleswig-Holstein also fast 60 verurteilte Gewalttaten im Jahr und weil durch eine gezählte Tat meistens mehrere Opfer geschädigt werden, müssen wir von weitaus Opfern ausgehen.

Häufige Tatorte rechter Gewalt waren Kiel (73), Lübeck (69), Neumünster (42), Rendsburg (29), Husum (25), Elmshorn (17), Flensburg (17), Ratzeburg (16), Eckernförde (15), Pinneberg (15), Heide (14), Uetersen (12). Steinburg (11).
Insgesamt wurden in 123 Gemeinden und Städten Schleswig-Holsteins Gewaltstraftaten durch Nazis verübt. Für eine Stadt wie Neumünster, mit 79 000 Einwohner_innen kommt eine Tat auf 500 Einwohner_innen.

Mit am Entlarvendsten finde ich an den Antworten der Landesregierung, dass sie offensichtlich nicht die geringste Ahnung hat, wie viele Menschen in Schleswig-Holstein Opfer rechter Gewalt wurden. Das ist eine Bankrotterklärung!

Der Gipfel aber ist das bewusste Wegschauen der Landesregierung bei Neofaschistinnen und Neofaschisten in Ehrenämtern. Die Landesregierung antwortet auf unsere Frage dazu, Zitat „Von einzelnen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene ist bekannt, dass ehrenamtlich tätig sind, ohne dass diese ihr Engagement zu rechtsextremen Aktivitäten nutzen. Eine planmäßige Erfassung von Rechtsextremisten in Ehrenämtern erfolgt jedoch nicht.“

Hier wird ganz deutlich: Die Landesregierung hat das, was die NPD den „Kampf um die Köpfe“ nennt, bereits aufgegeben! Neofaschisten in der Zivilgesellschaft als Trainerinnen und Trainer in Sportvereinen, als Helferinnen und Helfer in Altenheimen oder als Betreuende von Schülerinnen und Schülern an Ganztagsschulen sind niemals trennbar von ihren politisch widerwärtigen Einstellungen. Ihre Antwort auf unsere Frage ist ein Skandal ohnegleichen!

Sie müssten in Bildung investieren, sie dürften nicht bei der Jugend und bei den Zuschüssen für antifaschistische Projekte kürzen. Sie müssten den Kampf um die Köpfe wieder aufnehmen!

DIE LINKE wird weiterhin kompromisslos gegen Faschismus kämpfen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

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