Promotions- und Habilitationsmöglichkeiten dürfen nicht vom Drittmittel-Volumen abhängen.

16. November 2011  Im Landtag, Reden
Björn Thoroe hält Landtagsrede

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

ein neues Semester beginnt, neue Studierende kommen an die Hochschulen und neue Verträge wurden und werden unterzeichnet. Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses stellt uns aber vor entscheidende Fragen. Wird genug für diesen Nachwuchs getan? Diese Frage ist von zwei Seiten aus zu stellen:

Erstens: Können wir mit der Ausbildung des Nachwuchses die Nachfrage nach wissenschaftlichem Personal erfüllen, oder gibt es Defizite?

Die andere Seite der Frage aber halten wir für ungleich wichtiger: KÖNNEN all diejenigen, die promovieren bzw. habilitieren WOLLEN das auch tun? Denn Promotion und Habilitation sind durch die grundgesetzlich garantierte freie Berufswahl zu den Grundrechten zu zählen.

Sehen wir uns die Möglichkeiten einmal im Vergleich an:
Wenn wir uns die Zahlen zu den Promotionen zwischen 2000 und 2010 ansehen, fällt auf, dass die Zahl der Promotionen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) zusammen mit der Medizin fast viermal so hoch ist, wie in den Geisteswissenschaften.

Konkret heißt das: Die Summe der Promotionen im Zeitraum 2000 bis 2010 in den MINT-Fächern und der Medizin macht mit 5452 knapp 73% der Gesamtheit aller Promotionen des Zeitraumes aus, während die Geisteswissenschaften mit 1391 Promotionen gerade mal auf knapp 19% kommen.
Wie ist denn das Verhältnis der Anzahl der Promotionen zu der Zahl der Studierenden an den jeweiligen Fakultäten?

Sehen wir uns das einmal anhand der Christian-Albrechts-Universität an:
Die Philosophische Fakultät ist mit 8300 Studierenden nicht nur die größte Fakultät an der CAU, sondern alleine auch größer als die Universitäten Lübeck und Flensburg zusammen. Im Übrigen ist sie die einzige Fakultät, an der der Anteil der Frauen höher als der der Männer ist. Ein Umstand, der selbst für die Promotion noch gilt, wie aus den Antworten des Ministeriums auf die Anfrage hervorgeht.
Bei der Anzahl der Promotionen kommt sie mit 54 Promotionen im Jahre 2010 im Vergleich zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gerade mal auf die Hälfte. Die Math-Nat-Fakultät hat etwa 4800 Studierende und ist damit etwas mehr als halb so groß wie die Philosophische Fakultät.

Es drängt sich die Frage nach der Ursache auf: Gibt es einfach ein größeres Interesse an einer Promotion an der Math-Nat-Fakultät, oder gibt es ein Gefälle, was die Förderung angeht?
Und da ist die Faktenlage erdrückend! Ich unterstelle einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen der Zahl der Promotionen und dem eingeworbenen Drittmittelvolumen. Die Antworten des Ministeriums zur Frage nach Graduiertenschulen erhärten meine Hypothese: Alle Exzellenzcluster, und die Infrastruktur, die um sie herum geschaffen wird, sind in MINT-Fächern sowie im Bereich der Medizin. Das ist zunächst eine tolle Sache, dass Schleswig-Holstein sich bundesweit so hervortun konnte.

Aber sehen wir uns die Sache doch mal genauer an: Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass die Einwerbung von Drittmitteln längst zur Deckung der Grundlast herhalten muss. Die Einführung der Globalhaushalte an den Hochschulen hat diesen Trend schließlich gesetzlich legitimiert! Die staatlich garantierten Grundmittel, die vorne und hinten nicht ausreichen, werden von den Hochschulleitungen in diejenigen Bereiche »investiert«, die ohnehin schon so gut bestückt sind, dass sie auf dem Drittmittelmarkt wettbewerbsfähig sind. Über die verstärkte Einwerbung von Drittmitteln versuchen die Hochschulen die Defizite der systematischen Unterfinanzierung zu kompensieren.

Diese Konzentration von Mitteln erfolgt aber bekanntermaßen zulasten bestimmter, von der Hochschulleitung als »Forschungsschwache« oder »nicht-wettbewerbsfähig« betrachteter Fächer. Der Geschäftsführer des BdWI, Torsten Bultmann, zieht daraus folgendes Fazit:

Die verteilungspolitische Kehrseite dieser eindimensionalen Konzentrationspolitik ist die Existenz heruntergewirtschafteter Massenstudiengänge mit zunehmend prekären Beschäftigungs-bedingungen für das wissenschaftliche Personal.

Wir vermissen in der Anfrage, Kollege Habersaat, Fragen zur Beschäftigung von Privatdozenten – überhaupt zum Thema atypische, prekäre Beschäftigung an den Hochschulen. Denn das ist laut dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die am schnellsten wachsende Personalkategorie an den Hochschulen. Zwischen den Jahren 2000 und 2008 wuchsen diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen um 44%!

Da finden sich die abenteuerlichsten Verträge, von befristeten 1-Jahres-Verträgen bis hin zu Scheinselbständigkeiten mit Dumping-Löhnen, unbezahlte Lehraufträge emeritierter Professorinnen und Professoren, deren Wegfall für viele Studierende in unterfinanzierten Fächern zum Fiasko würde. Wer von denen soll denn die Promotionen in der Philosophischen Fakultät betreuen? Besser noch: wer sollte sich heute eigentlich noch freiwillig habilitieren lassen, wenn man Gefahr läuft, danach bei ausbleibendem Ruf schlechter gestellt zu sein, als vorher?

»Brain Up! Deutschland sucht die Superuniversitäten« war die Antwort der SPD auf diese Misstände. Die Fehlentwicklungen einer wettbewertblichen Mittelvergabe sollten einfach durch noch mehr Wettbewerb korrigiert werden. Wenn Sie in den aktuellen Umfragen bei 30% liegen, tun Sie das TROTZ, nicht WEGEN Ihrer Hochschulpolitik.
Worüber wir im Ausschuss noch diskutieren sollten, ist die Promotionsmöglichkeit an Fachhochschulen. Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum Promotionen ein Privileg der Universitäten sein sollen.

DIE LINKE steht für eine ausfinanzierte, soziale Hochschulpolitik!

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