Zwölf Jahre Bologna-Prozess

16. Dezember 2011  Im Landtag, Reden
Björn Thoroe hält Landtagsrede

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Hegel sagte einmal „Der Mensch wird, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung.“ Der deutsche Idealismus ist einer der Gründe, warum die Diskussion über Bildung in unserem Land mit so viel Pathos aufgeladen ist. Seit Schiller, Kant, Fichte, Hegel und letztlich auch Wilhelm von Humboldt, gilt Bildung als elementarer Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung, als Grundbedingung für ein Leben in Freiheit und ist damit für eine Demokratie unverzichtbar.

Was wir heute an Schulen und Hochschulen vorfinden, hat mit diesem Bildungsbegriff nichts zu tun. Das hat einen einfachen Grund: Diese Regierung ist weder liberal, noch konservativ. Sie sind der parlamentarische Arm der Arbeitgeberverbände!

Sie alle, und das betrifft ebenso SPD und Grüne, ignorieren seit nunmehr 12 Jahren den entscheidenden Widerspruch des Bologna-Prozesses: Eine europäische Angleichung der Hochschulsysteme via Wettbewerb erreichen zu wollen, ist schizophren! Was soll denn das für ein Wettbewerb sein? Wer am besten zum gleichen Ergebnis kommt? Ihnen waren die Ziele des Bologna-Prozesses von vornherein völlig egal! Wenn Sie die Reformen ernst genommen hätten, dann hätten Sie spätestens 1999, eine Diskussion über den Bildungsföderalismus anstoßen müssen. Wir haben jetzt 16 verschiedene Bologna-Prozesse – das ist völlig idiotisch, wenn man von den ursprünglichen Zielen ausgeht!

Für die Landesregierung läuft der gesamte Prozess lediglich auf die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen hinaus. Die Hochschulrektorenkonferenz sieht das allerdings anders. Ich darf sie zitieren:

Allerdings wurden elementare Ziele des Bologna-Prozesses – zum Beispiel im Hinblick auf grenzüberschreitende akademische Mobilität oder die Anerkennung von Studienabschlüssen und Leistungen – bislang nicht erreicht.

Sie identifizieren die Ziele des Bologna-Prozesses mit dem, was Sie bis 2010 zustande gebracht haben. Das ist ein argumentativer Taschenspielertrick.
Und die ach so gewerkschaftsnahe SPD sollte sich endlich eingestehen, dass zumindest die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses gescheitert ist! So sieht es jedenfalls die GEW.

Ich kann hier nicht alles ausführen und möchte mich deshalb auf zwei Punkte beschränken:

Da wäre erstens der Streit um die Zulassung zum Masterstudium. In der Bologna-Erklärung heißt es:

Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus ist der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienzyklus.

Unsinnige Hürden und Quotierungen können nicht mit dem Bologna-Prozess in Verbindung gebracht werden! Die Landesregierung aber schreibt:

Ein 1 zu 1 Übergang vom Bachelor zum Master entspricht nicht dem Bedarf des Arbeitsmarktes oder dem Interesse aller Studierenden. Dies ist auch nicht die Idee oder Ziel der Bologna-Reform. In einem System gestufter Studiengänge stellt der Bachelor-Abschluss als erster berufsqualifizierender Abschluss den Regelabschluss dar.

Was ist das eigentlich für ein Unfug? In einer freiheitlichen Gesellschaft entscheiden die Individuen selbst, welchen Abschluss sie anstreben. Was Sie wirklich wollen, sind billige, semiqualifizierte Arbeitskräfte für die Wirtschaft und Einsparungen im Hochschuletat durch eine Studienzeitverkürzung! Das ist die Politik der Arbeitgeberverbände.

2. Das sogenannte Leistungspunktesystem ECTS funktioniert nicht und ist zudem ANTILIBERAL!

ECTS ist die Standardisierung des Verhältnisses zwischen Lernzeit und Lernergebnis. Herr de Jager, Ihre Partei polemisiert gerne gegen eine von ihnen herbeihalluzinierte Einheitsschule.
SIE HABEN DAS EINHEITSSTUDIUM EINGEFÜHRT!
Alle sollen in identischer Zeit identische Lernergebnisse erzielen. Was für ein Menschenbild steckt eigentlich dahinter?

Die Hochschulen haben dieses Konzept nie angenommen. Niemand hat bei der Konzeption der Studiengänge von irgendwelchen „Lernergebnissen her gedacht“. Und das letzte, was mit ECTS gefördert wird, ist die Mobilität! Das haben Sie ja auch zugegeben, wenn sie die Einrichtung von Mobilitätsfenstern in den Studiengängen fordern.
Die Durchrationalisierung des Studiums mit ECTS macht für Studium und Lehre keinen Sinn, für die Arbeitgeberverbände allerdings schon. Alles wird quantifiziert, messbar gemacht, effizient gestaltet und auf Verwertbarkeit getrimmt. Die Lernergebnisse sollen ausschließlich den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entsprechen.

Zusammengefasst muss man sagen, dass sich aus Ihrer Hochschulpolitik ein Menschenbild ergibt, welches jenem der Sowjetunion eher entspricht, als dem der Aufklärung. Der Mensch muss sich einem übergeordneten Ziel fügen. Einst war es der Aufbau einer vermeintlich besseren Gesellschaft, heute ist es die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Sie, meine Damen und Herren, haben das schlechteste aus beiden Welten vereint: das inhumane Menschenbild der Sowjetunion und die krassen sozialökonomischen Ungleichheiten eines entfesselten Kapitalismus.

Der Bologna-Prozess ist jedenfalls gescheitert! Wir, DIE LINKE, fordern eine Generalrevision, die insbesondere zu einer Deregulierung des Studiums führen muss! Freiheit und Autonomie des Einzelnen müssen endlich zur Grundlage des Bildungssystems werden. Das geht nur mit einer Abkehr von dieser neoliberalen Planwirtschaft!

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