von Ramona Hall, Björn Thoroe und Stefan Karstens
Das Global Economic Symposium
Beim Global Economic Symposium (GES) handelt es sich um ein seit vier Jahren auf Initiative des in Kiel sesshaften „Instituts für Weltwirtschaft“ (IfW) und der Bertelsmann-Stiftung jährlich stattfindendes Treffen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Politikerinnen und Politikern sowie Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsunternehmen, ausgewählten NGOs und Medien. Es versteht sich selbst als „hochrangiges Lösungsforum“, auf dem sich „weltweit führende Köpfe aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft“ treffen. Diese haben den selbst formulierten Anspruch, konkrete Lösungsvorschläge für mannigfaltige globale Probleme der Sphären „Globale Wirtschaft“, „Globale Gesellschaft“, „Globale Politik“ und „Globale Umwelt“ erarbeiten zu wollen, die Eingang und Einfluss finden sollen in politische Entscheidungsprozesse, z.B. beim Internationalen Währungsfonds (IWF), den transnationalen Polizeibehörden Europol und Interpol oder der Weltbank. 1
Die auf der Webseite des GES zu findende Übersicht der Partner und Sponsoren lässt im übrigen erahnen, in wessen Interesse diese „Lösungsvorschläge“ erarbeitet werden. Das zum Beispiel der Großkonzern Veolia, weltweit berüchtigt für das Aufkaufen privatisierter Wasserwerke und dessen rücksichtslose Auspressung im Dienste von Maximalprofiten, seine „Expertise“ bei der Lösung des Problems fehlenden Zugangs zu sauberem Trinkwasser einbringen soll, spricht Bände über den Charakter dieser Veranstaltung.
Der Gegen-Kongress
Schon Monaten im Voraus hatte sich ein breit zusammengesetztes Bündnis von Aktiven – u.a. Attac, das Nordelbische Frauenwerk, der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, der Ver.di Bezirk Kiel/Plön, Avanti – Projekt undogmatische Linke, DIE LINKE Schleswig-Holstein – darauf vorbereitet:
Am 30.09/01.10 fand schließlich der Kongress „Eine andere Welt ist nötig! Wie wollen wir leben?“ im Kultur- und Kommunikationszentrum „Pumpe“ in Kiel statt.
Dieser Kongress war bewusst als Gegenveranstaltung zum GES konzipiert, die globalen Probleme sollten fundiert aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und diskutiert werden.
Zur Auftaktveranstaltungen am Freitagabend kamen überraschend viele Interessierte: Rund 200 Zuschauerinnen und Zuschauer wollten das Eröffnungspodium unter dem provokanten Titel „Brauchen wir Wirtschaftswachstum?“ verfolgen.
In einem ersten Teil beschäftigte sich das Podium mit der Analyse der gegenwärtigen Situation. Einig waren sich alle Diskutierenden, dass Wirtschaftswachstum an sich sowie dessen zentrale Parameter (BIP, Handelsvolumen) nichts mit der Lebensqualität einzelner Menschen oder ganzer Bevölkerungsgruppen zu tun hat – vielmehr würde nur das Ergebnis gewerblicher Tätigkeiten addiert, ohne den eventuellen gesellschaftlichen Nutzen oder auch Schaden zu benennen.
Der anwesende Dr. Norbert Reuter, Volkswirtschafter beim Ver.di-Bundesvorstand, brachte es mit einem plastischen Beispiel auf den Punkt: „Nach dieser Wachstumslogik ist es besser, wenn ein Verkehrsunfall passiert, als wenn dieser nicht passiert. Die Reparatur des Wagens erzeugt Wachstum. Die Ausbesserung von Schäden an der Straße erzeugt Wachstum. Die Behandlung der Verletzen bewirkt Wachstum. Wenn diese Verletzten dann noch langfristig auf Medikamente oder Hilfsmittel angewiesen sind: Noch mehr Wachstum.“
Konsens herrschte ebenso darüber, dass die gegenwärtige Form des Wirtschaftens immense Schäden am Ökosystem Erde verursacht hat. Mit begrenzten Ressourcen sein ein unendliches Wachstum schlicht unmöglich. Schlimmer noch: Ressourcenverbrauch, Treibhausgas-Emissionen und Raubbau an der Natur würden gegenwärtig mit enormer Geschwindigkeit zunehmen, entgegen aller politischen Beteuerungen der verschiedenen Regierungen. Im Zweifelsfall würden fast alle Regierungen primär den jeweiligen ökonomischen Interessen den Vorzug geben.
Andererseits wurde von machen Diskutierenden darauf hingewiesen, dass insbesondere die Länder des globalen Südens einer Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit (also: Wirtschaftswachstum) dringend bedürfen, um die Lebenssituation ihrer Bevölkerung zu verbessern. Hier als lebenslange Nutznießer_in einer westlichen Überflussgesellschaft Verzicht predigen zu wollen gehen in die völlig falsche Richtig und sei schlicht ungerecht. Vielmehr müssten die Industriegesellschaften den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern dabei helfen, ihre wirtschaftliche Entwicklung ökologisch verträglich zu gestalten. Ein massiver Transfer von Technologien und Geldmittel sei hierfür Bedingung. Ob dieses unter dem derzeitigen, von westlichen Ländern dominierten, Welthandelsregime zu verwirklichen sei, dürfe allerdings stark bezweifelt werden.
Im zweiten Teil der Podiumsdiskussion wurde sich mit der perspektivischen Frage „Was ist ein gutes Leben?“ beschäftigt. Hierbei wurde u.a. bemängelt, dass die derzeitige Interpretation des Begriffs „Freiheit“ viel zu oft auf „Entscheidungsfreiheit im Konsum“ reduziert würde. Vielmehr sei ein Ausbau politischer Beteiligungsmöglichkeiten Bedingung dafür, tatsächlich frei sein zu können. Eine reale politische Gestaltungsfreiheit für die Mehrheit der Bevölkerung sei allerdings so lange nicht zu verwirklichen, wie die Gestaltung der Bedingungen der Produktion in der Hand einer kleinen, reichen und dadurch mächtigen Minderheit sei.
Ferner müsse für eine andere Verteilung der erwirtschafteten Einkünfte gekämpft werden – hier seien insbesondere die Gewerkschaften gefordert und müssten aus dem politischen Raum mehr Unterstützung erfahren. Zur Zeit sei es so, dass insbesondere in Deutschland eine massive Umverteilung von Unten nach Oben stattfinde und „europäischer König des Lohndumpings“ sei. Die Konzentration auf den Export habe durch die so erwirtschafteten Handelsbilanzüberschüsse die massive Verschuldung anderer Länder erst verursacht. Hier müsse durch eine Stärkung der Binnennachfrage, eine Ausweitung der sozialen Dienstleistungen sowie eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung gegengesteuert werden. Das Wirtschaftswachchstum der letzten Jahre sei ohne einen Einkommenszuwachs bei den Beschäftigten erfolgt, die viel beschworene Reduzierung der Arbeitslosenzahlen sei fast ausschließlich auf den Niedriglohnsektor zurückzuführen.
Einer der Podiumsteilnehmer plädierte für ein „ökologisches finanziertes Grundeinkommen“, welches auf der Versteigerung von Ressourcennutzungsrechten beruhen sollte. Dieses würde zu einer Reduzierung des Verbrauchs, weniger Herrschaftlichkeit und mehr Gleichheit führen.
Im Ergebnis waren sich die Beteiligten der Podiumsdiskussion einig, dass Wirtschaftswachstum eine Grundbedingung für das Funktionieren eines kapitalistischen Wirtschaftssystems ist. Eine Kritik am Wachstum müsse mit einer Kritik am Kapitalismus einhergehen – langfristig würden sich die Auflösung sozialer Widersprüche und die Notwendigkeiten des Schutzes des Ökosystems nur durch eine andere Form des Wirtschaftens erreichen lassen.
Am zweiten Tag des Kongresses „Eine andere Welt ist nötig!“ fanden sich die Teilnehmenden in verschiedenen Workshops zusammen, um sich intensiv mit verschiedenen globalen Problemen zu beschäftigen.
So ging es im Workshop „Globale Soziale Rechte“ darum, Perspektiven für eine radikale Demokratisierung und Emanzipation zu diskutieren, welche die Verwirklichung sozialer Grundrechte – wie dem Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung, Wohnraum, etc. – für alle Menschen weltweit ermöglichen soll. Der Workshops „Solidarische Ökonomie“ und „Wachstum, Bruttoinlandsprodukt, Lebensqualität…“ beschäftigte sich mit Beispielen und Vorschlägen anderer Formen des Wirtschaftens, jenseits kapitalistischer Verwertungslogik.
Unter dem Titel „Festung Europa“ befasste sich eine Workshop mit der Abschottungspolitik der Europäischen Union gegenüber Flüchtlingen, welche nicht nur die elementaren Rechte der betroffenen Menschen missachtet sondern häufig genug den Tot Unschuldiger an den europäischen Außengrenzen zumindest billigend in Kauf nimmt. Weitere Workshops befassten sich mit der derzeitigen, andauernden Weltwirtschaftskrise (die eben nicht nur eine Krise der Finanzwirtschaft ist!) im allgemeinen sowie der so genannten „europäischen Staatsschuldenkrise“ im besonderen.
Unter dem Slogan „Eine Welt ohne Kriege!“ bot die Initiative Antimilitaristische Stadtrundfahrt einen Workshop an, der sehr erhellende wie bedrückende Informationen über den Umfang der Rüstungsproduktion in Kiel bot und Strategien einer zivilen Konversion diskutierte.
Ausgehend von der These, dass eine reine Verhinderung von Privatisierungen nicht ausreicht, wurden im Workshop „Demokratisierung der Daseinsvorsoge“ am Beispiel der kommunalen Ebene Partizipation und Kontrollmöglichkeiten an öffentlichen Unternehmen beraten.
Um den Einfluss der Energiekonzerne sowie die Möglichkeiten lokalen Gegensteuerns ging es im Workshop „Kiel fossil?“.
Im Abschlussplenum am Samstagabend wurde deutlich, dass alle Teilnehmenden die Workshops als sehr bereichernd empfunden haben. Durch die bei diesem Kongress erfolgte Vernetzung und Diskussion zwischen den verschiedenen (zivil-)gesellschaftlichen und politischen Akteuren wurde die Entschlossenheit bestärkt, weiter für eine „andere Welt“ zu kämpfen. Nur in der solidarischen Zusammenarbeit der verschiedenen Initiativen und Organisation liege die Chance, wirkungsvoll in gesellschaftliche Diskurse einzugreifen bzw. diese zu eröffnen.
Die antikapitalistische Veranstaltungsreihe
Ergänzend zum Gegenkongress haben verschiedene Gruppen und Organisationen – darunter auch die Linksjugend [’solid] Schleswig-Holstein – anlässlich des GES eine Veranstaltungsreihe organisiert, welche ganz im Zeichen der Kapitalismuskritik stand.
Mit einer Auftaktveranstaltung am 13.9. wurden Informationen über das GES und seine Bedeutung vermittelt, die Liste der dort Teilnehmenden kritisch analysiert und insbesondere auf die Rolle des in Kiel beheimateten – und immer wieder durch öffentlichkeitswirksame radikal-neoliberale „Reformvorschläge“ auffallende – „Institut für Weltwirtschaft“ eingegangen.
Eine spätere Veranstaltung beschäftigte sich mit der militärischen Sicherung der Seewege, etwa vor der Küste Somalias, und den tatsächlichen Ursachen der dort auftretenden Piraterie. Des weiteren wurde an dieser Stelle über Unterstützungsarbeit für die nach Deutschland verschleppten mutmaßlichen somalischen Piraten beraten, welchen derzeit in Hamburg der Prozess gemacht wird.
Unter dem Titel „Kapitalismus in Grün?“ wurde sich bei einer von der Linksjugend [’solid] organisierten Veranstaltung mit dem Konzept eines „Green New Deal“ (GND) und der Roll der Partei der GRÜNEN beschäftigt. Hierbei wurde herausgearbeitet, dass der GND keine Lösung der gegenwärtigen Menschheitsprobleme darstellt, sondern neue Wege der Profitmaximierung auf dem Feld der erneuerbaren Energien und Umwelttechnologien eröffnen soll.
Weitere Veranstaltungen beschäftigten sich mit dem Thema politischer Bewusstseinsbildung anlässlich der aktuellen Krisen sowie den Grundlagen einer Kapitalismuskritik.
Die Demonstration
Am 4. Oktober – dem Auftakttag des GES – schließlich versammelten sich rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Aktionstag. Diese begann mit einer Kundgebung vor dem Kieler Hauptbahnhof, direkt gegenüber dem Hotel Atlantic, Tagungsort des GES. Mittels zahlreicher Redebeiträge, verschiedener Flugblätter und Musik wurde auf das Stattfinden des neoliberalen Elite-Treffens und deren Machenschaften hingewiesen.
In den Abendstunden dann wurde der Aktionstag mit einem Demonstrationszug durch die Kieler Innenstadt fortgesetzt, welcher wiederum direkt vor dem Tagungshotel seinen bewusst lärmenden Abschluss fand. Manche werden sich daran gestört haben: So bemühte sich die mit Hundertschaften das Hotel bewachende Polizei, die Abschlusskundgebung zu unterbinden. Mit Hinweis auf das Versammlungsrecht und die entsprechend vorliegende Anmeldung konnte diesem Eskalationsversuch allerdings friedlich Einhalt geboten werden. Trotzdem sah sich der regionale Tageszeitungs-Monopolist „SHZ“ am folgenden Tage dazu genötigt, von „Straßenblockaden“ zu schreiben.
Die Rolle der LINKEN
Als einzige im Landtag vertretene Partei hat sich DIE LINKE von Anfang an den verschiedenen Vorbereitungen für die Aktionen gegen das GES beteiligt. Dieses macht deutlich, dass sich DIE LINKE in Schleswig-Holstein nicht – wie etwa die GRÜNEN, deren Vertreterinnen und Vertreter dort gern gesehene Gäste waren – zum Büttel einer Veranstaltung machen lässt, welche „seriöse Befassung“ mit den ernstzunehmenden Problemen der Welt nur vorgaukelt, um knallharte Interessenpolitik im Dienste der Eliten und Konzerne zu betreiben.
Vielmehr sieht DIE LINKE ihre Rolle darin, am Widerstand gegen solche Veranstaltungen mitzuwirken und mit den verschiedensten Akteuren Teil einer Bewegung zu sein, welche offen und solidarisch über Lösungsmöglichkeiten im Interesse der Mehrheit der Menschen diskutiert – und für diese Lösungen in den Parlamenten, den Kommunalvertretungen sowie insbesondere auch auf der Straße kämpft!
Weitere Informationen
Am Kongress „Eine andere Welt ist nötig!“ beteiligt:
- Attac
- Avanti – Projekt undogmatische Linke
- BI gentechnikfreies Schleswig-Holstein
- BI umweltfreundliche Energieversorgung für die Region Kiel
- Bündnis „Eine Welt“ Kiel
- DIE LINKE. Landesverband Schleswig-Holstein
- Linksjugend [’solid] schleswig-Holstein
- Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
- Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein (Anm.: Ebenso Kooperationspartner des GES)
- Initiative „Kiel im Wandel“
- Nordelbisches Frauenwerk
- Nordelbisches Missionszentrum
- Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein
- Ver.di Bezirk Kiel/Plön
An der antikapitalistischen Veranstaltungsreihe beteiligt:
- Freundeskreis der Subsistenzpiraterie
- Autonomes Antimilitaristisches Plenum Kiel
- Linksjugend [’solid] Basisgruppe Kiel
- FAU Ortsgruppe Kiel
- Junge Linke gegen Kapital und Nation
- Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein